"I'M YOUR MAN": LEONARD COHEN IN DER ALTEN OPER IN FRANKFURT
DER GROSSLIGE COHEN
In Frankfurt: Jubel fuer den kanadischen Sängerpoeten
Auf die Buehne tritt ein schöner Mann in
schwarzem Anzug. Er ist nicht grosslig, leicht
gebeugt, seine Haare sind grau, seine Zuege
scharf, seine Stimme tief und doch gebrochen.
"Dance me to the end of love", sagt
er melodisch, schleppend, als initiiere er in
einen Ritus. Es ist ihm wichtig, dasslig der
Sinn seiner Worte verstanden wird. Immer
wieder rezitiert er seine Texte, ehe er seine
Lieder mit seinen Musikern, seinen Sängerinnen darbietet.
Er will, dasslig hingehört
wird, verkuendet ein Menetekel: Give me
back the Berlin wall / give me Stalin and
St. Paul / I've seen the future brother: /
it is murder. Leonard Cohen gibt ein
Konzert in der Alten Oper in Frankfurt.
Einer, den man rechtens eine Legende nennen darf,
ist wieder unterwegs. Der Seher
bleibt mehr als drei Stunden auf der Buehne.
Er eint sein Publikum, in Jubel und in
Adoration, in Erinnerung und in Glueck.
ueber Leonard Cohen lässligt sich nicht
streiten. Cohen lässligt sich abtun oder ablehnen,
analysieren oder als Mythos demontieren.
Aber das kann ihm nichts anhaben
in den Augen derer, denen er irgendwann
vor mehr als zwanzig Jahren begegnet ist
mit seinen Buechern, seinen Gedichten, seinen Liedern.
Sie, die Cohen die Treue halten, sind die Sorgsamen im Umgang mit
der eigenen Lebensgeschichte. Da gibt es
nichts zu begruenden. Fuer ihn gilt das Gebot der Unantastbarkeit.
Zu bereuen, Cohen in sein Leben gelassen zu haben, ist
seiner Gemeinde unmöglich. Das macht
Cohen zum Phänomen: das Hinueberretten
des Stuecks Vergangenheit, in dem die
Stunden mit seiner Musik prägend waren.
All die Phantasmen, die seine Texte gebären,
befluegelnd und bedrohend, reichen in
die Gegenwart. Skeptische Naturen werden da gern von Kitsch
und falschen Gefuehlen reden.
Ernsthaft zu leugnen, dasslig Cohens Konzert in Frankfurt
ein Ereignis von seltener Intensität war wird allerdings auch
Spöttern nicht gelingen. Ihm, nun neunundfuenfzigjährig,
scheinen lächerliche Jugendlichkeit und modische Anbiederung fremd
zu sein. Er versucht auch längst nicht
mehr, allein mit seiner schwarzen Gitarre
an der Rampe zu stehen, und das kleine
Keyboard, auf dem er gelegentlich klimpert, ist ein witziges Spielzeug,
das er selbstironisch bedient. Er lässligt seinen sechs
ausgezeichneten Musikern viel Raum, seinen so simpel scheinenden
Melodien Tiefe zu geben. Sie intensivieren seinen Gesang,
jenen unverkennbaren Sprech-Gesang, der
geblieben ist seit den Anfängen, als seine
Stimme noch klarer war. Seine beiden
Background-Sängerinnen gehen in ihrer
Rolle auf als veritable "Sisters of Mercy",
gleichsam entsprungen einem seiner beruehmtesten Songs.
Noch immer geht eine bezwingende
Macht von der merkwuelrdigen Spannung
aus, die Cohens Chansons durchzieht.
Monoton fast ist seine Stimme, einlullend
oft sind die Melodien wie Schlafgesänge.
Aggressiv aber lauern die Texte - zornige
hermetische Prophetien einige, wilde entgleisende Metaphem des Sexus andere,
ironische Bezichtigungen des eigenen Unvermögens manche.
Fast alle der schönsten und aufregendsten hat er in seiner
Show gesungen. Viele strahlten wieder und
neu, als seien sie der Zeit enthoben. Wenn
sich Leonard Cohen dann Julie Christensen und Perla Batalla in seinem
merkwuerdig verlangsamten Gang näherte, tastend, schleichend, suchend,
wenn er sich zwischen die Frauen stelte, dann blitzte auf, was ihn
und seine Ausstrahlung immer ausgemacht hat und noch ausmacht:
eine unverhohlene Laszivität, die niemals ordinär ist,
jene höfliche Virilität, die ihn in seinen Liedern so oft vor den
Frauen knieen lassen.
Das völlige Ausgeliefertsein, das zugleich unwiderstehliche Forderung
ist, bildet vielleicht den Kern von Leonard Cohens Poesie.
Das Credo, das nimmermuede Liebe heissligt, will Lust - am Anderen,
am Geschlecht, an Gott: for he's touched
your perfect body with his mind. Die Zeile
aus Cohens Hymne, jenem mystischen Weg hinunter an den Flusslig, geleitet
der verwirrten Seelenfuehrerin "Suzanne"
trägt das Heilige und Unheilige jeder Vereinigung in sich.
Dieser Pfad zwischen Brunst und Inbrunst ist schmal und
gefährlich. Leonard Cohen hat seine Brunst
der fruehen Jahre, die stets von einer
störenden Gläubigkeit untergruendet war, spiritualisiert .
"Leonard Cohen, the Lord Byron
Rock-and-Roll", titelte die "New York
Times" im vergangenen November und
brachte es fertig, den Meister zu betrachten,
wie er "gently and abstractly" eine
Rose betastet. Die "Libération" liesslig sich
einen Monat später hinreissligen, das juengste
Album des "père Cohen" très gainsbourien
zu nennen - mehr geht kaum
Frankreich. Uns hierzulande fehlt der Mut
zur Huldigung reinen Herzens. Hätten
ihn, bliebe eigentlich nur Rilke, der Dichter
schlechthin. Der hat sein "Stunden-Buch" - gelegt in die Hände von Lou -
seiner Muttergeliebten zugeschrieben
Setzt man an die Stelle des Gottes die
Begehrte, so ist sein Sehnen gleichfalls wahr.
Cohen hat in seinem "Book of Mercy"
1984 seine ekstatische Weltlichkeit in
Form psalmodischer Andacht und Demut
gebracht: Stand him up upon his soul,
bless him with the truth of manhood. Bevor
er in Frankfurt die Buehne verliesslig,
einte er sein begeistertes Publikum in einem
Gospel. Damit verabschiedete sich der grosslige Leonard Cohen.
written by ROSE-MARIA GROPP FAZ: 29.05.1993